Ein Universalgelehrter mittleren Alters? Ein junges Mädchen, das sich in dessen jüngere Version verliebt? Leid, Mord und Gefangenschaft? Wer in der vergangenen Woche im Theaterkeller des Gutenberg-Gymnasiums mit einer klassischen Inszenierung von Goethes Faust gerechnet hatte, der wurde überrascht. Denn der Literaturkurs der Q1 von Frau Drewe brachte nicht den „Faust“, sondern das „Faustspiel“ von Matthias Hahn auf die Bühne.
Erna, eine junge und naive Schauspielerin spricht am Theater für ein Engagement vor. Obwohl eine Kollegin ihr von dem Theater abrät, ist sie begeistert, als man ihr die Rolle des Gretchen überträgt. Denn der Regisseur „Z“, Karl Zipfelmayer, will den „Faust“ zeigen.
Das Theaterspiel im Theaterspiel trifft auf Widerstand, da die Kulturreferentin der Stadt, Frau Doktor Hubschmidt, eine ganz eigene Vorstellung davon hat, wie der „Faust“ auf der Bühne aussehen soll. Sie und „Z“ können sich nicht einigen, und so teilen sie die Szenen untereinander auf und treten in den Wettstreit, wer der bessere Regisseur sei. Ihren Einfluss nutzt Frau Doktor Hubschmidt außerdem aus, um ihrem Sohn Paul ein Engagement in dem Theater zu verschaffen.
Als wäre dieser Wettstreit noch nicht genug, sorgt die Theaterkritikerin Frau Fink bei den jungen Schauspielerinnen für Unruhe, indem sie berichtet, dass in der Vergangenheit immer wieder schöne Schauspielerinnen in dem hiesigen Theater verschwunden seien.
Diese Unruhe ist – wie sich später zeigt – alles andere als unbegründet.
Obwohl der Literaturkurs nur viermal in Gesamtbesetzung proben konnte, überzeugte die Darstellung des „Faustspiels“ das Publikum vollends. Felicitas Baußmann verkörperte „Z“ und nahm die Zuschauer mithilfe ihres großartigen Mienenspiels mit in die Welt eines großen Regisseurs oder zumindest eines Regisseurs, der sich für groß hält. Ihre Gegenspielerin als Frau Doktor Hubschmidt war Kaoutar Harchoui, die mit Bravour eine überhebliche Politikerin spielte. Anna Berner trat als die liebenswerte Frau Fink auf, zeigte jedoch gekonnt eine drastische Wandlung, als der strenge Kommissar seine Tarnung aufgeben konnte. Für laute Lacher sorgte die Schauspielkunst von Noah Martin, der vorgab ein Patient der Nervenklinik zu sein und als solcher fantasierte, als Schimanski das organisierte Verbrechen bekämpfen zu wollen. Bestätigt wurde er hierbei mit dem regelmäßigen und kräftigen „Jawohl, Chef!“ seiner zwei Freunde und Pfleger, die von Linus Kellerberg und Jan-Luca Neiß dargestellt wurden. Das Chaos erscheint perfekt, als sich herausstellt, dass Paul tatsächlich als Polizist und Kollege des Kommissars ermittelt. Aber gegen wen? Den wahnsinnigen Doktor Strolch gab mit absoluter Überzeugung Marvin Krämer. Mit beängstigend großen Spritzen gelingt es Strolch, sowohl „Z“ als auch Frau Doktor Hubschmidt außer Gefecht zu setzen. Und fast scheint es so als würde das Böse – oder hier der Wahnsinn – gewinnen, denn Doktor Strolch gelingt es auch, die Schauspielerinnen, souverän gespielt Leonie Mensing, Jolina Gorski und Annabelle Meindorf, in seine Gewalt zu bringen. Doch mit den vereinten Kräften Pauls und des Kommissars kann Doktor Strolch überwältigt werden.
Und wo blieben nun Faust und das verliebte Gretchen? Als des Pudels Kern stellt sich heraus, dass Doktor Strolch schon seit Jahren für das Verschwinden der schönen Schauspielerinnen verantwortlich war. Doch sobald dieser festgenommen ist, heißt es „Ende gut, alles gut!“. Und als klar ist, dass „Z“ und Frau Doktor Hubschmidt in einigen Monaten wieder zu sich selbst finden werden, fällt das Erna-Gretchen Macho-Paul verliebt um den Hals.
Nach coronabedingter Pause hat Lehrerin und Regisseurin Frau Drewe mit ihrem diesjährigen Q1-Literaturkurs wieder ein unterhaltsames Stück auf die Bühne gebracht, dass die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler forderte und ihnen viel Gelegenheit zur Entfaltung gab, die sie alle nutzten!
Unterstützt wurde sie – fast schon traditionell – von Frau Mock, die für die Technik zuständig war. Außerdem dankte Frau Drewe dem Kunstkurs von Frau Arste, der die Requisiten gestaltet hatte, sowie unserem Hausmeister Herrn Decker, der nach einem Wasserschaden im Theaterkeller dort den Boden neu verlegt hatte. Mit finanzieller Unterstützung des Förderkreises sowie eigener guter Wirtschaft in der Theaterkasse konnte sich das Theater-Team eine neue Lichtanlage leisten, mit der die Inszenierung des Literaturkurses noch professioneller wirkte.
Auch wenn im recht kuscheligen Theaterkeller an den Abenden des 17. und 18. Mai darum gebeten wurde, Masken zu tragen, trug die tolle Schauspielkunst und die absolut runde Gesamtinszenierung erheblich dazu bei, nach den vielen coronabedingten Einschränkungen der vergangenen Jahre ein weiteres Stück Normalität zurückzugewinnen. Dafür gilt dem gesamten Theaterteam unser Dank und wir gratulieren allen Beteiligten zu dieser äußerst gelungenen Inszenierung!
Gerichtet? Nein – gerettet!!!
Text: A. Gregor
Fotos: A. Gregor & A. Brings